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März 2021

Lambert Maria Wintersberger, Fesselung - Oral 2 1968

Für den leider viel zu früh verstorbenen genialen Galeristen Hans-Jürgen Müller, der sie alle kannte, die Maler, die heute die Szene und den Boulevard bestimmen, war Lambert Maria Wintersberger „ungeheuer wichtig. Ach was, er war der Beste.“
Er war in den siebziger Jahren gemeinsam mit Gerhard Richter und Konrad Klapheck die Hoffnung der deutschen Kunst, die international endlich wieder reüssierte.
Warum von den genannten Künstlern Wintersberger der noch zu entdeckende (und noch bezahlbare) ist, bleibt ein Geheimnis.
Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass es mindestens drei Lambert Maria Wintersberger gibt. Es beginnt mit jenem aus den 60er und 70er Jahren, der mit seiner peniblen Pinselführung als Hoffnung für eine deutsche Variante der Pop Art galt. Der zweite ist ein völlig anderer, sehr viel vehementerer und gestischer, ja wilder Maler seit Beginn der 80er Jahre, dessen Bilder nur den Eingeweihten bekannt sind und von diesen auch sehr geschätzt werden. Und schließlich gibt es noch jenen Wintersberger, der völlig losgelöst von irgendwelchen –ismen, nur gute Bilder, Objekte, Zeichnungen, Grafiken und Collagen machte – bis zu seinem selbstbestimmten Ende.

Das vorgestellte Bild ist eines der siebziger Jahre. Da weht der Geist der Zeit und – wie Werner Schmalenbach sagte – gute Bilder müssen die soziale, politische moralische Wirklichkeit ihrer Entstehungszeit ablesbar machen. Damals war nun halt mal Vietnam, Folter, Verzerrung und Deformation an der Tagesordnung – und traf dabei auf eine Generation, die Flower-Power und Hippie-mäßig unterwegs war. Welche Abgründe. Das Bild hier ist also gedacht, nicht abgebildet und aseptisch in marzipanfarben. Je sanfter, je schlimmer. Und das mit einem Bildrepertoire, das ganz nahe am Menschen ist und auch dadurch Betroffenheit auslöst. Wintersbergers Daumenverletzungen, seine Spaltungen, Sprengungen und Schnitte sind jedoch nicht das Werk eines Sadisten, der unbedingt provozieren will. Er ist ein Chronist der Zeit: Seine Bilder realisieren Distanz und Nähe, OP-Saal und Panoptikum in einem.

Das ist große Kunst.